Holocaust-Triptychon - drucken -
Präsentation des Holocaust-Triptychons
anläßlich des Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft 61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, 27.
Januar 2006
Liebe Anwesende,
daß ich heute im Rahmen des Gedenkens an die Opfer des Nazi-Terrors die Gelegenheit habe, die dreiteilige Arbeit zum Thema des Holocaust zu zeigen, ist auf Herrn Solteks Initiative zurückzuführen. Ursprünglich hatte ich die Absicht, das Triptychon im Kontext der Präsentation meines Ionesco-Buches im September letzten Jahres im Klingspor-Museum vorzustellen. Bei der gemeinsamen Durchsicht der zur Auswahl stehenden Arbeiten schlug Herr Soltek spontan vor, es auszugliedern und es stattdessen in die heutige Veranstaltung zu integrieren. Eine Entscheidung, die mir sehr entgegen kommt, da in diesem Zusammenhang diese Arbeit am ehesten so gesehen wird, wie ich es zumindest intendiert habe: nämlich vor allem als Ausdruck des persönlichen Entsetzens über menschliche Greueltaten und nicht so sehr als künstlerische Manifestation.
Der Ernst des Anlasses dieser Veranstaltung unterbindet, daß ausschließlich die dem Kunstwerk innewohnende Tendenz zum Tragen kommt, es als Gegenstand des Genusses zu betrachten. Ein Artefakt, das auf einem nur theoretischen, abstrakten Wissen basiert, bleibt es dennoch, womit sich die Notwendigkeit ergibt, es in meine gesamte künstlerische Arbeit zu seinem besseren Verständnis einzubetten.
Neben der eigenen Erfahrung einer gesellschaflichen Wirklichkeit, die weit davon entfernt ist, die Ursachen für Haß, Grausamkeit, staatlichen wie individuellen Terror beseitigt zu haben, sind es vor allem literarische Einflüsse, die meine Arbeit bestimmen. Es sind hauptsächlich Texte von Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts, die eindringlich auf die Erschütterungen der bürgerlichen Gesellschaft durch Wirtschaftskrisen, Kriege, Revolutionen und Faschismus reagieren. Gegen das moralische, sich frei entscheidende, Subjekt setzen sie einen Protagonisten, der seine Gedanken und Handlungen emotionslos und präzise so beschreibt, als wären es die eines anderen.
Es ist der entfremdete Blick auf sich selbst und die soziale Realität, die nur als Körperwelt reflektiert wird. In Romanen wie Célines «Voyage au bout de la nuit» (Reise ans Ende der Nacht, 1932), Sartres «La nausée» (Der Ekel, 1938), Camus’ «L’étranger» (Der Fremde, 1942) und der Prosasammlung «Les fourmis» (Die Ameisen, 1949) von Boris Vian spiegelt sich der in Trümmer gelegte Traum des Bourgeois von seiner eigenen Größe. An die Stelle eines mit sich selbst versöhnten Menschen tritt ein Subjekt, das von Angst, innerer Zerrissenheit, Unsicherheit der Existenz und einem gestörten Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit geprägt ist.
In meiner Arbeit erscheint dieses Subjekt z. B. in der immer wiederkehrenden Figur des Sisyphos: eingetragen in ein Gitter, in dem die Figur in stets variierter Stellung erscheint. Sie ist allegorisches Zeichen des ideologischen Gefangenseins und der funktionalen Existenz der Individuen in der Gesellschaft. In den seriellen Graphiken treten die Körper in Reihen und Zügen auf. Sie stehen dort für Massen und
Arbeitssklaven: Akzentuiert wird hierbei die gesellschaftliche Zwangsgewalt. Wenn die dazu gehörigen Räume dargestellt werden, so sind es Stollen, Fabrikhallen oder Baracken, erhellt von hängenden Lampen.
Die Assoziation von Arbeits- und Vernichtungslagern drängt sich auf. In der totalitären Verfügung und Zerstörung des Körpers zeigt sich der auf den anderen Menschen projizierte Selbsthaß. Im und am anderen wird die eigene Sterblichkeit bekämpft, im aktiven Herrsein über den Tod.
Kaum einer wie Ionesco hat die Tragödie der Unvereinbarkeit der biologischen, metaphysischen und gesellschaftlichen Bestimmungen des Menschen so deutlich erkannt: «Nein, keinen Augenblick lang habe ich mich wohlfühlen können in dieser Welt des Leidens und des Todes, für die ich in meiner Ohnmacht nichts tun konnte. Jedes Handeln geht übel aus.
Die Jahre haben meine Traurigkeit, meine Mattigkeit, meinen Ekel, meine Furcht nur verstärkt. ... Komödien zu schreiben, wurde mir unmöglich oder fast unmöglich. Also ging ich daran, schwärzere Dramen zu schreiben in der Hoffnung, Erleichterung zu finden. Mit einer Art Genugtuung schrieb ich über Elend und Angst. Wie kann man von etwas anderem sprechen, wenn man weiß, daß man sterben muß? Das Grauen und die Wut darüber, daß man sterblich ist, hat die Menschheit zu dem gemacht, was sie ist. Masochismus, Sadismus, Zerstörungs- und Selbstzerstörungswut, Kriege, Revolten und Revolutionen, gegenseitiger Haß sind, bewußt oder unbewußt, nur aus aus dem Gefühl unseres bevorstehenden Endes geboren und, umgewandelt, übertragen, oder nicht, aus der Furcht vor dem Tod. Wir fühlen uns hier nicht wohl, wir fühlen uns nicht zu Hause. Solange uns nicht die Unsterblichkeit garantiert wird , werden wir nicht glücklich sein und einander hassen trotz unseres Bedürfnisses, uns zu lieben.» (Ionesco, Journal en
miettes)
Daß die Kunst bei der Lösung existentieller wie gesellschaftlicher Fragen helfen kann, ist fraglich. Sie vermag den Riß nicht zu beseitigen,, der durch das Innere des Menschen geht und den unauflöslichen Widerspruch des «von Vergänglichkeit beseelten Lebens» (Thomas Mann) markiert, aber sie kann ihn immerhin bewußt machen: «Die Menschen identifizieren sich mit dem Kunstwerk; ein Kunstwerk ist in dem Maße etwas wert, wie sich die Menschen in ihm wiedererkennen und wie es das Zeichen unserer Identität und unserer Fortdauer ist. Das Kunstwerk kann indessen weder der Ausdruck eines allzu besonderen Falles noch eine Wiederholung sein; das ist sein paradoxes Gesetz, das ist das Paradox des Kriteriums der Kunst. In sich selbst findet man, was zutiefst persönlich und was unpersönlich ist.» (Ionesco, Pourquoi j’écris)
Dem Triptychon sind einige Lithographien vorangestellt, die seine thematische Einbettung in meine Arbeit demonstrieren sollen.
1.
Die Graphik (Bild 1) ist dem Künstlerbuch «Albert Camus · Der Mythos von Sisyphos» entnommen. Der Text von Camus geht der Frage nach, wie der Mensch mit seinem Leiden angesichts des Verlustes seiner metaphysischen Wurzeln umgehen soll. Die Graphik zeigt schemenhaft einen Zug nackter Menschen, der sich durch einen von hängenden Lampen erhellten Tunnel bewegt. Durch die zeichenhafte Darstellung der Lampen - wie übrigens in vielen meiner Graphiken - wird die Assoziation von ‘Gasduschen’
suggeriert. Eine bewußte Anspielung auf die Vernichtungslager der Nazis.
«Sisyphos, der ohnmächtige und rebellische Prolet der Götter, kennt das ganze Ausmaß seiner unseligen Lage.: über sie denkt er während des Abstiegs nach. Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.» Der letze - von mir in Zweifel gezogene - Satz war es, der mich veranlaßte, kontrapunktisch dieser Textstelle eine bildliche Frage ohne Antwort entgegenzusetzen.
2.
Die beiden Graphiken (Bilder 2,3) sind Illustrationen zu der Kriegsnovelle »Die Ameisen» von Boris Vian», in der der Autor die traumatischen Erfahrungen des 2. Weltkrieges verarbeitet. Stark beeinflußt von Célines Roman «Reise ans Ende der Nacht», der in dieser schonungslosen Abrechnung mit dem Bürgertum unter anderem die Schrecken des 1. Weltkrieges nachzeichnet. In knapp gehaltenen figürlichen Zeichen wird der Text von Vian durch bildliche Allegorien des Krieges ergänzt:
dominant hierbei die Zerstückelung des sich über seine Sterblichkeit erhebenden Körpers.
3.
Eine Graphik (Bild 4) aus dem Buch «Franz Kafka · Erzählungen». Ein unterirdischer, von Balken gestützter Stollen, in dem einige menschliche Körper sich an die Wände pressen, ohne irgendeinen Blickkontakt zueinander. Stellvertretend für eine Vielzahl von Graphiken zu Kafka thematisiert sie das einem undurchdringlichen und unerreichbaren Macht- und Behördenapparat ausgelieferte Individuum, das sich schuldlos in Schuld verstrickt. Ein Entfremdeter, alleingelassen mit seiner existentiellen Angst. Zum Ausdruck gebracht durch die Spannung von surrealer Räumlichkeit und nacktem, erstarrtem Körper.
4.
Die zwei Graphiken (Bilder 5,6) sind Teil des Künstlerbuches «Eugene Ionesco · Der Schlamm». Der Text ist ein von Heinrich von Cramer für den WDR (1972) verfilmtes Fernsehspiel, in dem Ionesco selbst die Hauptrolle spielte. Es behandelt das Sterben und den Tod eines sich aus der Gesellschaft zurückziehenden Menschen. Das Fernsehspiel ist eine düstere Allegorie des unumkehrbaren Auflösens des von alltäglichen Gewohnheiten und deren Bedeutungen aufgespannten Netzes von Identität und Sinnhaftigkeit. Auf der Schwelle der Indifferenz von Tod und Bedeutung werden die Dinge frei von der Sprache und überwältigen den Menschen, er ist im Vorfeld des Todes völlig auf sich zurückgeworfen. Dies wird in der ersten Zeichnung dargestellt mit dem in der Wand gefangenen überdimensionalen Gesicht, das sich verzerrt im nassen Boden spiegelt.
Die zweite, im Buch die zentrale Lithographie, nimmt die vom Fernsehspiel ausgegrenzte Gesellschaft im Motiv des Holocaust wieder hinein. Der dargestellte Innenraum, an dessen Wänden die Schatten nach unten hängender Figuren zu sehen sind - Projektionen der Erinnerung -, ist nach einer Photographie gearbeitet, die in einer der Baracken von Auschwitz aufgenommen wurde.
5.
Holocaust-Triptychon: Die dreiteilige Arbeit (Bilder 7,8,9) ist aus einem Blatt hervorgegangen, das ursprünglich zu dem Zyklus «Carceri» gehörte, der sich mit dem Thema der Verschränkung von Gewalt, Sexualität und Tod beschäftigt. Dieser Zyklus knüpft an eine Reihe von Arbeiten an, die ab Mitte der 90er Jahre entstanden sind, und deren Thematik - wie gerade erläutert - in die ab 1994 hergestellten Künstlerbücher hineinreicht.
Das aus dem Carceri-Zyklus ausgegliederte Bild bezieht sich explizit auf Folter- und Internierungspraktiken. So lag es nahe, es zu einem Triptychon zum Thema des Holocaust zu erweitern, dessen linken Teil es jetzt bildet. Es zeigt eine Folter- und Vergewaltigungsszene, in der die individuellen Züge ausgelöscht sind - sichtbares Zeichen der Entmenschlichung der Täter und der psychischen wie physischen Vernichtung der Opfer. Die Szene ist in ein gespenstisch wirkendes grünliches Licht einer Hängelampe getaucht. Das Bild verbindet sich allerdings nicht zwingend mit dem Geschehen in einem der Vernichtungslager der Nazis, erst seine Verbindung mit den beiden anderen Teilen rückt es in dessen Nähe.
Das mittlere Bild stellt chriffrenhaft ein heilloses Durcheinander von zerschlagenen, zerbrochenen Körpern bzw. Körperteilen dar. Den Anstoß zu dieser Szene gab ein angeblicher Kommentar eines Nazi-Offiziers, der die grauenvollen Vorgänge in der Gaskammer von Auschwitz durch eine kleine Sichtluke in einer der Stahltüren beobachtete und anschließend, sichtlich bewegt, äußerte, daß ihn der Anblick an Dantes Beschreibung der Hölle erinnerte. Dieser Ausspruch - ob wahr oder nicht - ist in zweierlei Hinsicht aufschlußreich: Einmal als wollte dieser Nazi-Offizier mit diesem Verweis auf die Literatur nicht nur die erlebten Schrecken in ihrer eigentlichen Bedeutung verschieben und damit für sich eine psychische Entlastung bewirken. Zum anderen nimmt er -
bewußt oder unbewußt - im Bild der Hölle eine für die Nazi-Ideologie typische Vertauschung von Tätern und Opfern vor, sind doch in der christlichen Vorstellung den Höllenqualen diejenigen ausgesetzt, die für ihre Sünden oder Verbrechen bestraft werden. Die Verbrecher aber befinden in diesem Falle sich vor der Tür und betrachten das grausige Schauspiel. Der scheinbare Ausdruck menschlicher Regung entlarvt sich als Legitimation des eigenen Tuns. In der Darstellung des mittleren Bildes ist nicht nur jeder Anschein von Individualität, sondern auch der der körperlichen Unversehrtheit ausgelöscht. Die Agonie der durcheinander gewirbelten Körper wird durch ein grelles Purpurmagenta unterstrichen. Von diesem Bereich ist der obere durch ein giftiges Grün getrennt, das die doppeldeutigen Lampen umflutet.
Das abschließende, rechte Bild zeigt nur noch dahingestreckte, übereinandergefallene Körper. Kaum gegeneinander abgegrenzt, mieinander verschmolzen, liegen sie in einem kahlen, gewölbten Raum, der von einem kalten, bläulichen Licht erfüllt ist, und an dessen Decke an Schächte erinnernde Öffnungen zu sehen sind. Hier hat jedes Leben aufgehört zu existieren. Die äußerste Steigerung des Geschehens mündet in seinen völligen Stillstand. Dieser inhaltliche Aspekt ist zugleich ein
formaler: Die drei Teile des Triptychons sind durch eine auf- und eine absteigende Linie miteinander verbunden.
Die Arbeit ist Ausdruck brutaler Herrschaftsexekution, wie sie aus der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus hervorgeht, und die in dem industriell betriebenen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung, an ausgegrenzten Minderheiten und an politisch Andersdenken gipfelt. Aus ihrer Funktion, diese Verbrechen vor dem Vergessen zu bewahren, bezieht diese Arbeit möglicherweise ihre Berechtigung.
Kai Pfankuch
7,8,9: Holocaust-Triptychon, Aquarell, je 60 x 80 cm, Hofheim 2002 - 2004,
1: Aus Albert Camus · Der Mythos von Sisyphos, Lithographie, 24 x 32 cm, Hofheim 1995
2,3: Aus Boris Vian · Die Ameisen, Lithographien, je 29 x 39 cm, Hofheim 2000
4: Im Bergwerk, zweifarbige Lithographie, 74 x 54 cm, Hofheim 1997
5,6: Aus Eugene Ionesco · Der Schlamm, Lithograpien, je 29 x 39 cm, Hofheim 1999
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