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Leseprobe

 

Vian - Die Ameisen
aus
Boris Vian
Die Ameisen

(Hofheim am Taunus 2000)

 

Boris Vian
Die Ameisen

Heute morgen sind wir angekommen, und man empfing uns nicht gut, denn es war niemand am Strand außer einem Haufen Toter und Stücke von Toten, Tanks und demolierten Lastwagen. Aus allen Ecken Kugeln, und ich mag das nicht, diese Unordnung zum Spaß. Wir sind ins Wasser gehüpft, aber es war tiefer, als es aussah, und ich bin auf einer Konservenbüchse ausgerutscht. Dem Vogel, der genau hinter mir war, hat eine Kugel dreiviertel seines Gesichts weggerissen, und ich habe die Konservenbüchse zur Erinnerung behalten. Die Stücke von seinem Gesicht habe ich in meinen Helm getan, ihm gegeben, und er ist weggegangen, um sich behandeln zu lassen, aber offenbar den falschen Weg, denn er ist ins Wasser gegangen, bis er nicht mehr stehen konnte, und ich glaube nicht, daß er unter Wasser genug sieht, um sich nicht zu verlaufen.

Danach bin ich in der richtigen Richtung weitergegangen und kam gerade zurecht, um ein Bein mitten ins Gesicht zu kriegen. Ich habe versucht, den Kerl anzuschnauzen, aber die Mine hatte nicht sehr handliche Stücke von ihm übriggelassen, so daß ich seine Geste ignorierte, und ich bin weiter.

Nach zehn Metern bin ich auf drei andere Vögel gestoßen, die hinter einem Betonblock standen und auf ein Stück Mauer schossen, etwas höher. Sie schwitzten und trieften vdr Nässe, mir ging es wohl nicht anders, da habe ich mich hingekniet und auch geschossen. Der Oberleutnant ist zurückgekommen, er hielt seinen Kopf mit den Händen, und es lief rot aus seinem Mund. Er schien sauer zu sein und hat sich schnell in den Sand gelegt, mit offenem Mund und ausgestreckten Armen. Er muß den Sand ziemlich verdreckt haben. Eine der wenigen Stellen, die noch sauber waren.

Von da aus sah unser gestrandetes Boot zuerst ganz idiotisch aus, später, als die beiden Granaten darauf gefallen sind, nicht einmal mehr wie ein Boot. Das hat mir überhaupt nicht gefallen, weil noch zwei Freunde drin waren, die Kugeln abbekommen hatten, als sie zum Springen hoch wollten. Ich habe den dreien, die mit mir schossen, auf die Schulter geklopft und gesagt: »Los«. Natürlich habe ich ihnen den Vortritt gelassen, und ich habe einen guten Riecher gehabt, denn der erste und der zweite sind von den beiden andern, die aus dem Hinterhalt auf uns schossen, abgeknallt worden, und es blieb nur noch einer vor mir, der arme Hund, er hatte kein Glück, kaum hatte er den Schlimmsten geschafft, hatte der andere gerade noch genug Zeit, ihn umzulegen, bevor ich mich mit ihm beschäftigte.

Diese beiden Säue, hinter dem Mauervorsprung hatten sie ein Maschinengewehr und einen Haufen Patronen. Ich habe es in die andere Richtung gedreht und losgefeuert, aber ich habe gleich wieder aufgehört, weil es mir die Ohren vollgeheult hat, und außerdem kriegte es eine Ladehemmung. Die Dinger müssen richtig eingestellt sein, sonst schießen sie in die falsche Richtung.

Dort war ich einigermaßen sicher. Oberhalb des Strandes hatte man gute Sicht. Auf dem Meer rauchte es an allen Ecken, und das Wasser spritzte hoch. Man sah auch die Blitze von den Salven der dicken Schlachtschiffe, und ihre Granaten flogen einem mit komisch dumpfem Lärm über den Kopf, ein durch die Luft getriebenes zylindrisches Stück Geräusch.

Der Hauptmann ist angekommen. Wir waren noch elf. Er hat gesagt, daß das nicht viel ist, aber wir würden es auch so schaffen. Später sind wir aufgefüllt worden. Für den Augenblick hat er uns Löcher graben lassen; zum Schlafen, dachte ich, aber nein, wir mußten rein und weiterschießen.

Zum Glück klärte es sich auf. Aus den Booten kam jetzt haufenweise Nachschub an Land, aber die Fische schwammen ihnen zwischen die Beine, um sich für das Durcheinander zu rächen, und die meisten fielen ins Wasser und beim Aufstehen röchelten sie, als gingen sie hinüber. Einige standen nicht wieder auf und trieben mit den Wellen weg, und der Hauptmann hat uns sofort befohlen, das Maschinengewehrnest auszuheben, das hinter dem vorrückenden Tank wieder zu hämmern begonnen hatte.

Wir sind hinter dem Tank gegangen. Ich als letzter, weil ich kein Vertrauen in die Bremsen dieser Apparate habe. Hinter einem Panzer hergehen ist jedenfalls bequemer, weil man sich nicht mehr im Stacheldraht zu verhaspeln braucht, und die Pfähle fallen von selbst. Aber mir gefiel nicht, wie er die Leichen zermanschte, mit einem Geräusch, an das man sich schlecht erinnern kann – für den Moment ist es ziemlich charakteristisch.

Nach drei Minuten ist er auf einer Mine hochgegangen und fing an zu brennen. Zwei Kerle konnten nicht raus, und der dritte konnte, aber einer seiner Füße ist im Tank geblieben, und ich weiß nicht, ob er es gemerkt hat, bevor er gestorben ist. Jedenfalls waren schon zwei seiner Granaten auf das Maschinengewehrnest gefallen und hatten sowohl die Eier als auch die Vögel kaputt gemacht. Die an Land kamen, hatten es jetzt leichter, aber dann hat wieder eine Panzerabwehr angefangen, und mindestens zwanzig von ihnen sind ins Wasser gefallen. Ich habe mich flach auf den Bauch geworfen. Von meinem Platz aus konnte ich sie schießen sehen, wenn ich mich ein bißchen vorbeugte. Der Rumpf des ausbrennenden Tanks gab mir etwas Deckung, und ich habe sorgfältig gezielt. Der Richtkanonier krümmte sich im Fallen, ich mußte ein wenig zu tief getroffen haben, aber ich konnte ihm nicht den Rest geben, weil ich erst die drei andern umlegen mußte. Es fiel mir nicht leicht, zum Glück hörte ich durch den Lärm des brennenden Tanks nicht ihr Brüllen – auch den dritten hatte ich schlecht getötet. Im übrigen ging die Knallerei weiter, und es brannte überall. Ich habe meine Augen kräftig gerieben, um besser zu sehen, denn der Schweiß hinderte mich am Sehen, und der Hauptmann ist zurückgekommen. Er benutzte nur seinen linken Arm. »Können Sie mir den rechten ganz fest an den Körper binden?« Ich habe ja gesagt und angefangen, ihn mit Verbänden zu umwickeln, und dann hat er mit beiden Füßen gleichzeitig den Boden fahren lassen und ist auf mich gefallen, weil eine Granate hinten angekommen war. Er ist sofort steif geworden, das soll vorkommen, wenn man sehr erschöpft stirbt, jedenfalls konnte ich ihn so bequemer von mir runter nehmen. Dann muß ich eingeschlafen sein, und als ich aufwachte, kam der Lärm von weiter her, und einer von den Kerlen mit roten Kreuzen um den Helm goß mir Kaffee ein.



Lithographien:

Titelseite
Held
Der Krieg 
Ameisen
Messer
Doppelgänger
Zugabteil
Allee
Zerspringendes Glas

Aquarell:
zusätzliche Graphik in der A-Ausgabe

Doppelgänger (Aquarell)
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